Bregenzer Festspiele: Die Rückkehr der Riesenschlange – Eine Bühnenfigur zwischen Technik, Kunst und Grusel

Bregenzer Festspiele: Die Rückkehr der Riesenschlange – Eine Bühnenfigur zwischen Technik, Kunst und Grusel

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Versteckt hinter einem mächtigen Felsen, eingerahmt von Geäst und dem glitzernden Bodensee im Hintergrund, ruht sie reglos – und doch ist sie eine der Hauptfiguren der Bregenzer Freischütz-Inszenierung: eine gigantische Schlange, Sinnbild des Bösen und fester Bestandteil des dramatischen Höhepunkts in der Wolfsschlucht. Auch in der zweiten Festspielsaison wartet das überdimensionale Reptil darauf, erneut die Herzen des Publikums in Angst und Staunen zu versetzen.

„Wie jede gute Schlange hat sie einen ausgiebigen Winterschlaf gemacht“, sagt Ausstattungsleiterin Susanna Boehm mit einem Augenzwinkern. Und fügt gleich hinzu: „Sie hat sehr gut überwintert. Bis auf ein paar Farbakzente sind keine Reparaturen notwendig. Wir werden das Rot am Bauch auffrischen, damit sie wieder dramatischer aussieht.“

Ein Kunstwerk aus Aluminium – schwer, realistisch, funktional
Die Schlange, inspiriert vom natürlichen Vorbild der Rotbäuchigen Schwarzotter, ist weit mehr als eine einfache Requisite. Sie ist eine komplexe technische und künstlerische Skulptur, entworfen, um sowohl ästhetischen als auch sicherheitsrelevanten Anforderungen gerecht zu werden. Die Konstruktion besteht aus einem robusten Aluminiumblech, das dem Bühnenwesen seine charakteristische Oberfläche verleiht. Der Körper liegt dabei dauerhaft unter Wasser fixiert, nur der bewegliche Kopf ragt – je nach Bühnensituation – aus dem künstlichen Bühnenbiotop empor. Die technischen Vorgaben von Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl waren hochgesteckt: Die Schlange sollte nicht nur täuschend echt aussehen, sondern auch in der Lage sein, das Gewicht eines Darstellers zu tragen – und dennoch auf der Bühne unsichtbar bleiben, solange sie nicht „gerufen“ wird. Ein Einbau unter Wasser war aus technischen Gründen nicht möglich, daher wurde sie mit einer raffinierten Tarnung aus künstlichen Steinen und Ästen versehen. Von oben betrachtet wirkt sie wie ein harmloser Felsen – bis sie mit einem Mal lebendig wird.

Vom Stahlrohr zur lebendigen Schlange – monatelange Handarbeit
Monatelang arbeitete der erfahrene Theaterplastiker Frank Schulze in seinem Atelier in Potsdam an der monumentalen Figur. Seit über 30 Jahren ist er als Mitgestalter der Bregenzer Seebühne tätig – ein Spezialist für aufwendige und wetterfeste Großplastiken. Das Herzstück der Schlange bildet ein rund 50 Zentimeter dickes Stahlrohr, das nicht nur die Grundstruktur liefert, sondern auch Platz für Stromleitungen und Lichtelemente bietet. Außen wurde es mit unzähligen Metallschuppen verkleidet – jede einzelne von Hand aus Aluminiumblech geschnitten und ringförmig vernietet.

Susanna Boehm mit Schlange. Foto © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv

„Das Material stellt eine enorme Herausforderung dar“, erklärt Susanna Boehm. „Normalerweise würde man eine solche Skulptur aus Holz schnitzen. Aluminium hingegen erfordert immense körperliche Anstrengung und viel Geduld – es geht nicht ohne starke Hände und große Präzision.“

Der Schlangenkopf ist ein Meisterwerk für sich: Er kann das Maul öffnen, Zähne ausklappen lassen und seine Augen leuchten rot, wenn es die Szene verlangt. Zudem muss er stabil genug sein, um eine Person zu tragen – und dabei sicher bleiben. Alle Einzelteile wurden in Potsdam gefertigt und in der Festspielwerkstatt in Bregenz millimetergenau zusammengesetzt. Schließlich hob ein Kran die fertige Schlange behutsam auf die Seebühne – ein Balanceakt zwischen Technik und Sensibilität.

Ein feuerspeiendes Finale
Der große Auftritt der Schlange erfolgt in einer der zentralen Szenen der Oper: In der legendären Wolfsschlucht erhebt sie sich bedrohlich aus ihrem Versteck, speit Feuer und entzündet damit den magischen Feuerkreis. Die pyrotechnischen Effekte sind sorgfältig in der Skulptur verborgen und erfüllen höchste Sicherheitsstandards. Wie ein Hubstapler kann sich das Wesen senkrecht aus seiner Tarnung erheben. Dabei trägt es eine Figur – Samiel oder den Eremiten – auf dem Kopf. Der höchste Punkt der Skulptur misst 3,7 Meter über der Bühne. „Der Darsteller muss sich dort oben absolut sicher fühlen können“, betont Boehm. Um das zu gewährleisten, wurde ein Halterohr in Ast-Optik auf dem Kopf montiert, das als Stütze dient. Zusätzlich wird der Schauspieler mit einem Sicherheitsseil gesichert.

Ein kurzer, aber eindrucksvoller Lebenszyklus
Am 17. Juli beginnt die zweite Saison der aufwendigen Freischütz-Inszenierung auf der Bregenzer Seebühne – und damit auch der zweite und letzte Auftritt der Riesenschlange. Noch einmal wird sie für Gänsehaut sorgen, ein atemberaubender Teil des Gesamtkunstwerks zwischen Wasser, Musik und Magie. Doch nach diesem Sommer ist ihr Schicksal besiegelt: Die Schlange wird demontiert und verschrottet – wie eine alte Karosserie. Ein Ende, das ihrer Wirkung auf der Bühne in nichts nachsteht: spektakulär, kraftvoll, aber auch vergänglich – ganz im Sinne des Theaters.